von Markus Heiniger
Berner haben keine Songs. Sie machen Chansons. Wenn sie Troubadoure sind. Heute beleben die Erben der in den 1960ern von Georges Brassens inspirierten Begründer des Genres die Bühnen rund um die Aare-Stadt. Gitarristisch ist seither einiges gegangen. Nur sprachlich reissen leider nach wie vor die meisten die Latte beim Versuch die von Mani Matter und Fritz Widmer scheinbar so locker übersprungene Höhe zu erreichen.
Einer der Jungen, ein im Grunde eher schwacher Gitarrist, ist nun aber um Haaresbreite dran, an der Höhe. Zwar singt er „eusi“ statt „üsi“ (unsere). Aber das kann sich der Wahlberner leisten. Irgendwie. Denn Mischa Wyss ist gegenwärtig eindeutig einer der besten seines Fachs.
„Wortsensibel“ seien seine Lieder, sagt der junge Germanist und Physiker über sich und seinen Erstling. Darin verwebt er Wortwitz, Sprachspielereien und Metaphern in melancholischer Grundstimmung, als wäre es keine Kunst. Ist es aber. Das spürt auch sein Publikum, das ihn liebt und feiert. Mani Matter hat zwar auch er noch nicht erreicht, auch wenn ihn die eine oder andere euphorische Stimme schon mal mit ihm vergleicht. Aber das ist albern. Als würde ein talentierter Jung-Komponist neben Mozart gestellt. Geht gar nicht.
Was gibt es zu hören auf der CD? „Haarigi Romanze“ (Haarige Romanze) eröffnet das Album. Zwei Haare auf einem sich nachts auf einem Kissen hin und her wälzenden Kopf kommen sich näher. Es knistert. „Si locke, oha, mit Locke sich a“ (Sie locken, oha, mit Locken sich an.) Wyss hält die pace beim Kreativ-Frisieren von Sprachbildern hoch. Das Schlechte an der Geschichte ist eigentlich nur die Wendung, die sie nimmt. Denn kaum verheiratet beginnt beim Paar auch schon die tägliche Haarspalterei. Und zuletzt lässt es sich, so musste es ja kommen, scheiteln.
So blumig und nett das alles wirkt, Wyss‘ Humor ist tatsächlich auch immer wieder überraschend abgründig und erfrischend frech. Nicht zuletzt live in seinen Liedansagen. Etwa wenn er zu seinem „Farbstift“ erklärt, es komme ihm bei Menschen nicht auf Schönheit an sondern auf die inneren Werte. Ausserdem seien eh alle Menschen schön. Ohne Ausnahme. Punkt. Ja, klar. Das wussten wir im Grunde doch alle. Endlich sagt es wieder einmal einer. Wir nicken berückt. Dem einen und andern entfleucht ein leiser Seufzer. Eine Dame nestelt in den Abgründen ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Und schon sind wir, blind und unbedarft, in Wyss‘ ausgelegte Schlinge getappt. Die er nun wie beiläufig zuzieht, als er ganz trocken anfügt: „Und mängge gseht mes sogar a.“ (Und manchen sieht man es sogar an.)
Wyss greift in seinen Lieder nach den Sternen. Und setzt dabei ganz unverhofft auf der Erde auf. Das geht so:
In „Ufo“ erhalten wir Besuch von Ausserirdischen. Als der Bundesrat nach langem Beraten endlich beschlossen hat, den Besuch nun doch in Frieden zu empfangen und dessen Überlegenheit in jeder Hinsicht ausgiebig gewürdigt ist, stellt man den hyperintelligenten Aliens ganz bange die uns schon so lange quälenden Fragen nach dem Anfang und dem Ende des Universums sowie nach dem ewigen Leben.
Oh, meinen die Ausserirdischen, nichts leichter als dies alles zu beantworten. Aber zuvor möchten sie gerne uns ein paar existentielle Antworten auf Fragen, die sie quälen, entlocken. „Warum nur hat man nach dem Waschen immer bloss einzelne Socken?“ Warum steckt, wenn es eilt, genau, unser UFO stets im Stau? Weshalb nur können sich die meisten, was sie sich wünschen, knapp nicht leisten?“ – Nun, öhm, mit solcherlei Fragen hätten die Menschen jetzt gerade nicht gerechnet. Ernüchterung macht sich breit. Doch nur kurz. Denn schon bald obsiegt wieder die Freude darüber, dass wir also doch nicht ganz allein sind in den Weiten des Alls. Auch wenn unsere Nachbarn sich mit denselben Problemen „in Grün“ rumschlagen wie wir.
Wirkliche Schwachstellen gibt es eigentlich kaum auf dem Album. Denn in „Trüebsal blase“ (Trübsal blasen) besingt Mischa Wyss ganz offen und schonungslos seinen Schmerz darüber, dass er als eher schwach begabter Musiker nicht weiss wohin mit seiner ganzen Melancholie. Während andere auf Violinsaiten oder in den unergründlichen Tiefen einer Klaviatur Linderung erfahren, bleibe ihm nur seine Schwermut in Worte zu fassen. Und in die Melodien des Troubadours. Er tut es so leichtfüssig wie nur wenige. Möge er sein eben erst begonnenes Handwerk noch lange ausüben. In Lebensjahren gerechnet mindestens so viele wie jene von Mozart und Mani Matter zusammengezählt.